Das Unterschreiten der im Bauordnungsrecht festgelegten Abstandsflächen ist nur ausnahmsweise möglich. Hierzu bedarf es allerdings ausreichender Gründe oder besondere Umstände auf dem zu bebauenden Grundstück. Finanzielle Aspekte bleiben dabei grundsätzlich außer Bedacht.
Antrag eines Nachbarn gegen erteilte Baugenehmigung wegen Unterschreitung der Abstandsflächen erfolgreich
Zu den wichtigsten nachbarschützenden Vorschriften der Bauordnung gehören die Abstandsflächen. In Bayern sind diese in Art. 6 BayBO geregelt, wobei deren Tiefe meist mindestens drei Meter betragen muss. Werden sie unterschritten, sind Klagen von Nachbarn vor den Verwaltungsgerichten gegen eine erteilte Baugenehmigung oftmals erfolgreich.
In Bayern werden die Abstandsflächen mittlerweile auch im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren von der zuständigen Bauaufsichtsbehörde geprüft. Wie wichtig das Einhalten der in der Bauordnung festgelegten Abstandsflächen ist, zeigt jetzt erneut eine Entscheidung des VGH Kassel (Az. 4 B 1276/19).
Im vom VGH Hessen zu entscheidenden Fall hatte der Bauherr eine Abweichung von den gesetzlich festgeschriebenen Abstandsflächen beantragt. Dies ist sowohl nach der hessischen als auch der bayerischen Bauordnung grundsätzlich möglich. Die Baubehörde hatte dann auch mit Erteilung der Baugenehmigung zugestimmt, dass die Abstandsflächen unterschritten werden.
Unterschreitung von Abstandsflächen nur bei ausreichender Begründung
Dennoch war der Antrag eines Nachbarn erfolgreich, da die Behörde nicht ausreichend begründete, warum im konkreten Fall die Abstandsflächen unterschritten werden dürfen. Sie hatte diesbezüglich lediglich auf die topographische Lage des Baugrundstücks hingewiesen, sich sonst mit den Belangen des Nachbarn aber nicht genügend auseinandergesetzt.
Der Verwaltungsgerichtshof stellt hierzu in seinem Beschluss klar, dass für eine Abweichung von den Abstandsflächen besondere Verhältnisse auf dem Baugrundstück hinzukommen müssen. Allein der Umstand, dass nach Ansicht der Baubehörde das Gebot der Rücksichtnahme nicht verletzt wurde, reicht demnach gerade nicht aus.
Dabei genießt nach Ansicht des VGH Kassel der Nachbar selbst dann Schutz, wenn sich eine Verkürzung der Abstandsflächen auf sein Grundstück nur gering auswirkt. Ein solcher Umstand rechtfertigt keine Abweichung von den im Baurecht festgeschriebenen Abstandsflächen, da sonst jede Rechtsverletzung durch eine erteilte Ausnahme legalisiert werden könnte.
Wirtschaftliche Aspekte bei notwendiger Umplanung umbeachtlich
Und noch etwas stellt der VGH Hessen ausdrücklich klar: Wirtschaftliche Aspekte des Bauherrn bleiben bei Fragen der Abstandsflächen regelmäßig außen vor, wenn die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden können. Im vorliegenden Fall hätte der Bauherr hierzu das Gebäude lediglich rund 40 Zentimeter südlicher errichten müssen.
Er tat dies allerdings nicht und erinnert an die hohen Kosten einer Umplanung, die sich etwa aus einer Neuvermessung, Architektenkosten oder einem erneuten Bauantrag ergäben. Das Gericht verweist allerdings darauf, dass der Bauherr auch bereits von Beginn an entsprechend gesetzeskonform planen hätte können. Zudem könnten sonst die gesetzlichen Vorschriften unter Hinweis auf die wirtschaftlichen Aspekte leicht umgangen werden.
Bauherren sollten deshalb von Beginn an penibel auf die Einhaltung der Abstandsflächen achten und sich bestenfalls bereits vor Beantragung der Baugenehmigung durch einen Rechtsanwalt im Baurecht beraten lassen. Eine erfolgreiche Klage eines Nachbarn führt sonst im schlimmsten Fall zum Abriss des im Bau befindlichen Gebäudes und verursacht hohe Kosten.
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